Pressefreiheit in Tunesien

Journalisten leiden unter religiösem Druck

Mehr als ein Jahr ist es nun her, dass die Menschen in Tunesien Präsident Ben Ali aus dem Amt gejagt haben. Unter seinem autoritären Regime waren kritische Journalisten an ihrer Arbeit gehindert, verhaftet und gefoltert worden. Doch wie frei können sie heute berichten?

 

Von Oda Lambrecht und Christian Baars, NDR

Seit Jahresbeginn gehen in Tunesien die Journalisten regelmäßig auf die Straße. Mit Plakaten und Bannern versammeln sie sich im Zentrum der Hauptstadt Tunis, um gegen die islamistische Regierung zu protestieren. Vor dem Amtssitz des Premierministers fordern sie mehr Unabhängigkeit von der Politik.

Etwas mehr als ein Jahr ist es jetzt her, dass das tunesische Volk Präsident Ben Ali aus dem Amt gejagt hat - Signal für den demokratischen Aufbruch einer ganzen Region, der Beginn des arabischen Frühlings. Im vergangenen Herbst fanden dann die ersten Wahlen statt. Die meisten Stimmen holte die islamistische Partei Ennahda. Sie stellt nun den Premierminister: Hamadi Jebali.

Gegen ihn richten sich die Journalistenproteste, denn Anfang des Jahres hatte Jebali eigenmächtig die Führungsriege der wichtigsten tunesischen Medien ernannt und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Viele Journalisten sind empört über den undemokratischen Alleingang und über die Auswahl der Chefredakteure und Direktoren, denn unter den Ernannten sind auch Unterstützer des alten Regimes.

Jebali setzte die ''Alt-Kader'' unter anderem als Leiter des Staatsfernsehens, der staatlichen Nachrichtenagntur und der größten Zeitung des Landes ''La Presse'' ein.

 

Chef der Staatszeitung wieder auf mächtigem Posten

Auch der Medienwissenschaftler Riadh Ferjani ist verärgert - besonders über die Nominierung des neuen Direktors der einflussreichen Tageszeitung ''La Presse'': ''Die Regierung hat es tatsächlich gewagt, einen ehemaligen Direktor der damaligen Staatsparteizeitung als neuen Direktor von ''La Presse'' zu benennen.''

Diese sei die wichtigste französischsprachige Zeitung in Tunesien und ein Unternehmen, das viel Geld verdiene.

 

Wachsender religiöser Druck

Helfer des damaligen autoritären Regimes sitzen immer noch in mächtigen Positionen - in Justiz, Verwaltung und auch in den Medien. Doch viele Journalisten kritisieren nicht nur den Einfluss der alten Garde, sondern auch den wachsenden religiösen Druck.

Zyed Krichen leitet die Tageszeitung ''Le Maghreb''. Regelmäßig berichtet seine Redaktion kritisch über die islamistische Regierung. Im Oktober 2011 habe Jebali vor rund 2000 Anhängern in der Hafenstadt Sousse von einem ''göttlichen Zeitpunkt, dem Zeitpunkt des sechsten Kalifats'' gesprochen - für Krichen Sinnbild eines islamistischen Gottesstaates.

Die Redakteure von ''Le Maghreb'' sind alarmiert und bringen das Zitat auf die Titelseite. ''Wir haben sofort reagiert, mit einem Bild von einem Kalifat-Turban eine schöne Seite Eins gemacht, mit einer meinungsstarken Geschichte'', berichtet Krichen.

 

Salafisten - die neuen Gegner kritischer Journalisten

Doch der Redaktionsleiter beobachtet nicht nur die islamistische Regierung mit Sorge, sondern auch radikale religiöse Gruppen wie die tunesischen Salafisten. ''Wir haben auch über das sogenannte Emirat von Sejanine berichtet, über einen Ort im Norden des Landes, wo etwa 50 Salafisten quasi die Macht übernommen hatten, ohne dass der Staat eingriff'', erzählt Krichen.

Danach habe man die Redaktion beschuldigt zu übertreiben, so Krichen, aber nach dem Bericht habe es dort einen großen Polizeieinsatz gegeben. Wegen solcher Berichte wollen radikale Islamisten kritische Journalisten einschüchtern, stellen sie als anti-islamisch dar, bedrohen die Journalisten. Vereinzelt gab es auch gewalttätige Übergriffe.

Die Organisation ''Reporter ohne Grenzen'' kritisiert diese Attacken scharf. Sie seien eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Presse, sagt die Französin Olivia Gré, die das jüngst gegründete Büro der Organisation in Tunis leitet. Hier entstehe eine Art beunruhigende moralische Zensur, so Gré, die Religion dürfe die Meinungsfreiheit nicht einschränken.

Ein weiteres Beispiel für den wachsenden religiösen Druck ist auch der Prozess um ein Titelbild der Zeitung ''Attounisia''. Es zeigte ein Foto des Fußballspielers Sami Khedira mit seiner nackten Freundin. Die Justiz sieht darin einen Vorstoß gegen Sitte und Moral. Der Herausgeber des Blattes wird einige Tage ins Gefängnis gesperrt und schließlich zu 500 Euro Strafe verurteilt.

 

Hoffnung trotz aller religiöser Tabus

Doch Olivia Gré von ''Reporter ohne Grenzen'' sieht auch positive Entwicklungen. Sie hält es für einen Erfolg, dass die Journalisten sich wehren, demonstrieren und über Probleme berichten. In der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit ist Tunesien jedenfalls im vergangenen Jahr um 30 Plätze nach oben gewandert. Das Land belegt nun Platz 134 von insgesamt 179 Staaten.

Und auch Redaktionsleiter der Zeitung ''Le Maghreb'' bleibt trotz aller Schwierigkeiten optimistisch: ''Seit dem 14. Januar 2011 gibt es eine große Freiheit im Land, trotz aller religiöser Tabus haben sich die Bedingungen für Journalisten radikal geändert, wir haben jetzt enorme Möglichkeiten.''

Quelle: tagesschau.de

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