Ungarn: "Berlusconisierung", Regierung plant stärkeren Zugriff auf Medien

Tiefgreifende Änderungen bei Aufsicht und Leitung von Rundfunk und Nachrichtenagentur in Vorbereitung - Zeitungsverleger und Journalisten besorgt

Budapest - Die neue ungarische Führung plant eine umfassende Reform der Mediengesetzgebung und -kontrolle, die umgehend heftige Proteste der Opposition hervorgerufen hat. Das in der Vorwoche von Abgeordneten der Regierungspartei Fidesz  eingereichte Vorschlagspaket beinhaltet nicht nur tiefgreifende Änderungen in der Aufsicht und Leitung der öffentlich-rechtlichen Medien, sondern plant auch die Einführung einer für sämtliche Medien geltenden "Medienverfassung". Die Opposition ortet in den Regierungsplänen den Versuch, das öffentlich-rechtliche Rundfunk und Fernsehen und die nationale Nachrichtenagentur Ungarns unter stärkere Kontrolle zu stellen und sich so mehr Einfluss auf die Berichterstattung zu verschaffen.

Nach den Vorschlägen sollen die Medienaufsicht ORTT und der Post- und Informatikkontrolleur NHH aufgelöst und in einem neuen Gremium mit dem Namen Nationale Medien- und Telekommunikationsbehörde (NMHH) zusammengefasst werden, mit einem fünfköpfigen Medienrat als Aufsichtsorgan, dessen Mitglieder für neun Jahre vom Parlament gewählt werden sollen. Der Vorschlag, dass der NMHH-Vorsitzende vom Regierungschef persönlich ernannt werden soll, stieß allerdings auch innerhalb der Regierungspartei Fidesz auf Gegenstimmen, die eine Wahl durch das Parlament bevorzugen würden.


Vier öffentlich-rechtliche Medien

Die bisher organisatorisch getrennten vier öffentlich-rechtlichen Medien Ungarns - das Ungarische Radio (MR), das Ungarische Fernsehen (MTV), der vor allem an die Ungarn außerhalb der Grenzen gerichtete Fernsehsender Duna TV und die nationale Nachrichtenagentur MTI - werden unter dem Dach eines einzigen gemeinnützigen Fonds zusammengefasst. Rechtlich bleiben sie allerdings getrennt und sollen vier einzelne Non-Profit-Aktiengesellschaften bilden.

Die geplante "Medienverfassung" soll wiederum unter anderem eine Verpflichtung für alle - auch nicht öffentlich-rechtliche - Medien beinhalten, "über die Dinge des lokalen, nationalen und europäischen öffentlichen Lebens, sowie über Ereignisse zu informieren, die für die Bürger der Republik Ungarn und die Angehörigen der ungarischen Nation von Bedeutung sind". Es beinhaltet unter anderem ein sogenanntes "Antwortrecht", wonach die Antwort eines Betroffenen auf einen Bericht innerhalb von 30 Tagen veröffentlicht werden muss. Diese Veröffentlichung darf im Fall des Vorwurfs, das Medium habe unwahre Behauptungen aufgestellt oder verbreitet, nur dann verweigert werden, wenn der Inhalt der Antwort "sofort falsifiziert werden kann".


"Ausbau unzerstörbarer Machtpositionen"

Unter den drei Oppositionsparteien, die allerdings weniger als ein Drittel der Sitze in der 386-Sitze-Volksvertretung haben, stößt angesichts der Übermacht von Fidesz und den mit ihnen untrennbar verbündeten Christdemokraten (KDNP) im Parlament vor allem die Besetzung der neuen Gremien auf Besorgnis. Die oppositionellen Sozialisten (MSZP) sehen in den Vorschlägen von Fidesz "den Ausbau unzerstörbarer Machtpositionen" und fordern unter anderem, dass die Nachrichtenagentur MTI nicht unter die gleiche Leitung und Aufsicht kommt wie die elektronischen öffentlich-rechtlichen Medien. Die rechtsradikale Jobbik befürchtet ein von der Regierung "händisch geleitetes Mediensystem". Laut der Grün-Partei LMP sollen damit die öffentlich-rechtlichen Medien der jeweiligen Regierung unterstellt werden.

Fachverbände wie die Vereinigung Ungarischer Zeitungsherausgeber, der Journalistenverband MUOSZ und die Pressegewerkschaft drückten ebenfalls ihre Besorgnis über die Vorschläge aus. Die geplante "Medienverfassung" sei "in mehreren Punkten lobenswert, in anderen Elementen jedoch stark anfechtbar", heißt es in einer gemeinsamen Aussendung. Vor allem beklagten die Organisationen, dass der Vorschlag "unter völligem Ausschluss der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und der Fachorganisationen" entstanden sei und forderten eine Verschiebung der Parlamentsdebatte über das Paket.

Der Kampf um die öffentlich-rechtlichen Medien zwischen Regierung und Opposition war Anfang der 90er Jahre, unter der konservativen Regierung von Jozsef Antall, eines der zentralen Themen des ungarischen öffentlichen Lebens gewesen. Erst 1996, unter einer Regierung aus Sozialisten (MSZP) und Liberalen (SZDSZ), wurde ein Mediengesetz verabschiedet. Die damals geschaffenen Strukturen gelten jedoch als kompliziert, bürokratisch und reformbedürftig.


Parteinahe Unternehmer gründeten Medien

Mit der Einführung von privaten Fernseh- und Radiosendern Ende der 90er Jahre und der Verbreitung des Internet verloren die öffentlich-rechtlichen Medien ihre große gesellschaftliche Bedeutung. Das erkannte auch die 1998 bis 2002 regierende rechtskonservative Partei Fidesz und begann laut Beobachtern vor allem nach Verlust der Regierungsmacht an die Sozialisten, systematisch im privaten Sektor eine "mediale Hausmacht" auszubauen, indem parteinahe Unternehmer Medien gründeten oder übernahmen.

So entstanden etwa die Nachrichtensender Hir TV und InfoRadio und der Fernsehsender Echo TV. Auf dem Tageszeitungsmarkt wurde 2006 zum bereits bestehenden Fidesz-nahen Blatt "Magyar Nemzet" die ehemals liberale Zeitung "Magyar Hirlap" als zweites Standbein hinzugefügt. Der parteinahe Unternehmer Gabor Szeles übernahm das wirtschaftlich stark kriselnde Blatt und änderte die Blattlinie völlig, wobei fast die gesamte Redaktion ausgetauscht wurde. Mit dieser Übernahme standen somit bereits zwei der vier landesweiten politischen Tageszeitungen - die anderen beiden sind die linksliberalen Blätter "Nepszabadsag" und "Nepszava" - der damals noch in Opposition befindlichen rechtskonservativen Partei nahe. Mit dem nun im Parlament eingebrachten Medienpaket widmet sich die rechtskonservative Regierung den öffentlich-rechtlichen Medien.

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